Die aktuelle Situation in Deutschland
In Deutschland zählen 47% der Frauen, 62% der Männer und 15% der Kinder als übergewichtig. Übergewicht begünstigt die Entstehung von Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Probleme. Als entscheidende Ursache für diese Krankheiten wird neben einer zu geringen körperlichen Aktivität oder genetischen Faktoren eine ungesunde Ernährungsweise gesehen. Zucker, gesättigte Fettsäuren und Salz zählen zu den unausgewogenen Inhaltsstoffen in Lebensmitteln und können bei zu hohem Konsum zu den genannten ernährungsbedingten Krankheiten führen.1
Im Ernährungsreport 2019 haben 91% der Befragten bekundet, dass ihnen eine gesunde Ernährung wichtig ist.2 Jedoch fällt es Verbrauchern häufig schwer, gesunde von ungesunden Lebensmitteln im Supermarkt zu unterscheiden.3
Warum ist das so?
Seit Ende 2016 besteht in Deutschland, sowie in der gesamten EU, eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung von verpackten Lebensmittel auf Grundlage der Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV).1 Die Vorgaben der LMIV sind meist in Form einer Nähwerttabelle umgesetzt. In dieser Tabelle werden der Energiehalt eines Produkts sowie die Anteile bestimmter Inhaltsstoffe (Kohlenhydrate, Zucker, Fett, ungesättigte Fettsäuren, Eiweiß und Salz) bezogen auf eine Referenzmenge von 100g bzw. 100ml dargestellt. In einer zusätzlichen Spalte kann optional der prozentuale Anteil von jedem dieser Bestandteile im Bezug auf die durchschnittlichen Kalorienzufuhr eines Erwachsenen (2000kcal) angegeben sein. Es ist außerdem möglich, dass der prozentuale Anteil der Nährwerte für eine willkürlich festgelegte Portionsgröße in einer weiteren Spalte berechnet ist.
Die Nährwerttabelle befindet sich häufig kleingedruckt auf der Rückseite der Verpackung. Dem Laien fällt es bei dieser Form der Darstellung von Nährwerten häufig schwer einzuordnen, ob ein Produkt ausgewogen ist oder nicht. Aus diesem Grund fordern Verbraucherverbände eine einfachere und verständlichere Nährwertkennzeichnung von Lebensmitteln.4
Gibt es bald eine verständlichere Nährwertkennzeichnung in Deutschland?
Die Bundesregierung ist scheinbar der Forderung nach einer vereinfachten Darstellung von Nährwerten auf Lebensmittelverpackungen in Deutschland nachgekommen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft plant im Herbst 2019 die Einführung eines neuen Kennzeichens auf der Vorderseite von Verpackungen:1
In diesem Sommer wird eine repräsentative Verbraucherbefragung von einem unabhängigen Markt- und Sozialforschungsinstitut durchgeführt. In der Umfrage sollen ungefähr 1000 Befragte vier Kennzeichnungsmodelle miteinander vergleichen und ihren Favoriten benennen. Ende September 2019 ist die Veröffentlichung des Ergebnisses der Studie geplant. Im Anschluss soll das am besten bewertete Modell bei der EU für die offizielle Verwendung in Deutschland registriert werden.4
Folgende Kennzeichnungssysteme werden von den Befragten in der Studie bewertet:
Bildquelle: https://www.bmel.de/SharedDocs/Bilder/Fachbereiche/Ernaehrung/eNKW-ModelleVerbraucherbefragung.jpg;jsessionid=2058F5E755A6A4BB06F778A4E8755E54.1_cid385?__blob=poster&v=3 (Zugriff: 07/2019)
MRI-Modell: In dem vom Max Rubner-Institut entwickelten Modell sind um den Energiegehalt des Lebensmittels wabenförmige Felder für die vier Inhaltsstoffe (gesättigte Fettsäuren, Fett, Salz, Zucker) angeordnet. Zusätzlich gibt es ein Fünf-Sterne System. Je dunkler der blaugrüne Farbton ist und je mehr ausgefüllte Sterne ein Lebensmittel erhält, desto gesünder wird das Produkt eingestuft.5
BLL-Modell: Im Modell des Lebensmittelverbands Deutschland e.V. (BLL), ehemals Bund für Lebensmittelkunde und Lebensmittelsicherheit, werden in Kreisdiagrammen die Anteile an Energie, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz für die Bezugsgröße von 100g bzw. 100ml prozentual sowie mengenmäßig dargestellt.
Keyhole®: Mit dem grünen (manchmal auch schwarzen) Schlüsselloch-Symbol werden Produkte ausgewiesen, die innerhalb der dazugehörigen Produktgruppe anhand verschiedener Nährwerte als positiv bewertet werden.6
Nutri-Score: Diese Kennzeichnung besteht aus einer fünfstufigen Ampel-Farbskala mit den Buchstaben A bis E. Das grüne A steht für die günstigste Nährwertbilanz. Das rote D hingegen für ein sehr unausgewogenes Lebensmittel. Die Buchstaben werden nach einem Berechnungssystem vergeben. Mit einberechnet werden dabei problematische Bestandteile wie Zucker, Salz und gesättigte Fettsäuren sowie günstige Bestandteile, wie Ballaststoffe, Eiweiß, Obst, Gemüse und Nüsse.3
Die ersten beiden Modelle sind Vorschläge von verschiedenen deutschen Institutionen. Die beiden letzteren haben sich hingegen schon in der Praxis bewährt. Das Keyhole®-Modell findet bereits seit 1987 in Schweden Anwendung. Auch andere Länder, wie Norwegen oder Dänemark, kennzeichnen einen Teil ihrer Produkte damit. Der Nutri-Score wird seit 2017 in Frankreich freiwillig von Herstellern verwendet. Immer mehr Länder, darunter Spanien, Belgien, Luxemburg und Portugal planen die Einführung des Nutri-Scores oder verwenden ihn schon.3
Ampelkennzeichnung oder nicht?
Die aufgeführten Kennzeichnungsmodelle unterscheiden sich zum Einen durch ihren Inhalt. Die deutschen Modelle (MRI-Modell und BLL-Modell) geben den Energiegehalt und die mengenmäßig enthaltenen Nährwerte wieder. Das Keyhole®-Modell und der Nutri-Score setzen auf eine zusammenfassende Bewertung im Hinblick auf die Ausgewogenheit eines Produkts. Sie geben somit eine Empfehlung ab. Zum Anderen unterscheiden sich die Modelle bezüglich ihrer farblichen Gestaltung. Die deutschen Modelle setzten auf neutrale Farben, während das Keyhole®-Modell und der Nutri-Score auf Ampelfarben verwenden. Mit den Ampelfarben wird die Intension dieser Modelle, eine Empfehlung für ein Produkt zu geben, verstärkt.
In einer Vergleichsstudie wurden verschiedene Nährwertmodelle auf ihre Verständlichkeit beim Verbraucher untersucht. Darunter waren die französische (Nutri-Score) und die britische Lebensmittelampel (Multiple Traffic Lights).7 Der Nutri-Score schnitt dabei unter den 1000 Befragten am besten ab.5
Wissenswertes zum Nutri-Score
Der Nutri-Score gibt dem Verbraucher eine schnelle und einfache Orientierung, ob ein Lebensmittel eine ausgewogene Nährstoffzusammensetzung enthält oder nicht.3 Somit werden Zuckerbomben oder sehr fetthaltige Produkte schnell sichtbar und die teils falschen Werbeversprechen entlarvt. Gleichzeitig gibt dieses Modell dem Hersteller den Anreiz ausgewogenere Rezepturen für ihre Produkte zu entwickeln, damit diese eine bessere Bewertung im Nutri-Score erhalten.4 Vor allem für stark verarbeitete Lebensmittel und Fertiggerichte erscheint dieses Modell sinnvoll. In diesen Produkten befindet sich häufig versteckter Zucker, der zu einer sichtbaren Absenkung des Nutri-Scores führt und somit die ungünstige Nährstoffzusammensetzung des Lebensmittels deutlich macht. Für Produkte hingegen, die aus nur einer Zutat bestehen, wie Olivenöl oder Fruchtsaft, ist der Nutri-Score eher ungeeignet.
Der BLL steht der Einführung eines Ampelsystems, wie dem Nutri-Score, eher kritisch gegenüber. Der Verband spricht sich strikt gegen eine Bewertung von Lebensmitteln, so wie es die Lebensmittelampel vornimmt, aus. Er begründet dies damit, dass Ampelfarben dem Verbraucher eine Empfehlung geben, die eventuell gegen seine Ernährungsgewohnheiten und -vorlieben zielen. Außerdem vermutet der BLL, dass falsche Ernährung nur zu einem geringen Teil für die Entstehung von Übergewicht und seiner Folgeerkrankungen verantwortlich ist. Stattdessen ist der Verband der Meinung, dass das Ernährungsverhalten eines Menschen primär von genetischen Faktoren und seinem Lebensstil beeinflusst wird.8
Auch die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, Julia Klöckner (CDU), hat Vorbehalte gegenüber der Einführung einer Lebensmittelampel. Sie fordert weitere Untersuchungen zu diesem Thema.9
Unser Fazit:
Jedes Nährwertkennzeichnungs-Modell hat seine Vor- und Nachteile. Das in Deutschland derzeit verpflichtende Nährwertmodell des LMIV ist unübersichtlich und für den Laien im Hinblick auf die Nährstoffzusammensetzung eher schwer verständlich. Daher ist ein einfacheres Modell, vor allem für Fertigprodukte, notwendig. Mit diesem hätte der Verbraucher die Möglichkeit sich einen besseren Überblick über die Ausgewogenheit von Produkten zu verschaffen. Er könnte sich gesünder ernähren und würde somit ernährungsbedingten Krankheiten vorbeugen.
Im Herbst 2019 entscheidet die Bundesregierung auf Grundlage der im Sommer 2019 durchgeführten Studie, welches Kennzeichnungsmodell in Deutschland erlaubt werden soll. Doch die Kennzeichnung von Lebensmitteln mit diesem Modell wird freiwillig sein. Das bedeutet, Hersteller können selbst entscheiden, ob sie die Verpackung ihrer Lebensmittel damit bedrucken wollen oder nicht. Dadurch kommen die Vorteile einer zusätzlichen Kennzeichnung nicht vollends zum Tragen.
Stattdessen müsste es eine für alle Hersteller obligatorische Kennzeichnung ihrer Produkte geben. Dies wäre allerdings nur möglich, wenn die EU eine verpflichtende Nährwertkennzeichnung veranlasst.3
Einzelnachweise:
5 https://www.test.de/Lebensmittelkennzeichnung-Mit-Signalfarben-bewusst-einkaufen-5461113-0/
8 https://www.lebensmittelverband.de/de/lebensmittel/kennzeichnung/ampel